Veröffentlicht unter: Die wahren Kosten des Bauens auf der grünen Wiese
Dr.-Ing. Jens-Martin Gutsche, Gertz Gutsche Rümenapp - Stadtentwicklung und Mobilität, Hamburg, Gutsche@Gertz-Partner.de
Eine Studie des NABU
- eine inhaltliche 1:1 Wiedergabe gekürzt auf die Belange von Horben!
Der anhaltende Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland führt zu bislang kaum zur Kenntnis genommenen zusätzlichen Kosten bei der öffentlichen Hand und den privaten Haushalten. Diese ergeben sich vor allem aus einer kontinuierlichen Ausweitung der mit öffentlichen Mitteln oder über Gebühren zu finanzierenden Infrastrukturen (z.B. Straßen, Wasser- bzw. Abwasserleitungen, Schulen, Kindergärten) bei stagnierender und in immer stärkerem Maße auch zurückgehender Bevölkerung.
Dessen ungeachtet weisen viele Kommunen neue Wohngebiete in der Hoffnung aus, durch die damit verknüpften zusätzlichen Steuereinnahmen (Einkommensteuer, Grundsteuer, Schlüsselzuweisungen) eine deutliche Verbesserung ihrer kommunalen Haushaltslage zu erreichen.
Berechnungen zeigen aber, dass sich neue Wohngebiete in den meisten Fällen bestenfalls für die Kommunen als fiskalisch neutral erweisen. Die wesentlichen Handlungsfelder zur Reduktion des Kosten- und Flächennutzungsanstiegs sind die verstärkte, interkommunal abgestimmte Nutzung der in vielen Städten und Gemeinden vorhandenen erheblichen Innenentwicklungspotenziale. Zusätzliche Einnahmen und Ausgaben aufgrund eines Neubaugebietes halten sich in etwa die Waage, wobei in den ersten Jahren die zusätzlichen Ausgaben deutlich überwiegen. Neue Wohngebiete sind somit als Mittel der Haushaltssanierung in den meisten Fällen nicht geeignet.
So nimmt der Aufwand an technischer Infrastruktur (laufender Meter Straße, Wasser- bzw. Abwasserleitung) insbesondere im Dichtebereich von Gebieten mit freistehenden Einfamilienhäusern (realisierte Geschossflächenzahl (GFZ) etwa 0,1 bis 0,3) sprunghaft zu.
Die zunehmende Verschuldung der privaten, vor allem aber der öffentlichen Haushalte zeigt aber, dass die mit dem Flächenverbrauch einhergehende Ausweitung der Infrastruktur in zunehmendem Maße auch zu einem finanziellen Problem wird. So schlagen die neu errichteten Infrastrukturen für Siedlung und Verkehr nicht nur mit ihren einmaligen Herstellungskosten, sondern auch mit ihren langfristigen Betriebs- und Finanzierungskosten zu Buche.
Das Verhältnis aus Kostenträgern (Einwohnern) und Kosten wird so immer ungünstiger.
Dies muss umso mehr beunruhigen, als sich durch die demografische Entwicklung der Anteil der Steuern und Einkommen generierenden Bevölkerung verkleinert
Den Städten und Gemeinden droht eine strukturelle Kostenfalle. Gebaute Infrastruktur bindet Kapital und bedarf kontinuierlicher Erhaltungsinvestitionen, um einem vorzeitigen Wertverlust vorzubeugen. Auf diese Weise entstehen hohe "de facto"-Fixkosten, die den Spielraum für künftige Entscheidungen deutlich einschränken. Hierdurch entstehunangenehme Dynamik zwischen der zu finanzierenden Infrastrukturen und der zur Verfügung stehenden Finanzmittel. Diese beiden Pole triften signifikant auseinander.
Sehr deutlich werden die finanziellen Risiken, wenn eine konstante oder sogar rückläufige Bevölkerung ein immer aufwändigeres Infrastruktursystem finanzieren muss. Diese Gefahr kann als eine "Fixkostenfalle" beschrieben werden, die - sobald die Finanzmittel fehlen - in eine "Instandhaltungskrise" übergeht. Letztere ist in vielen, zum Teil sogar relativ wohlhabenden Kommunen heute schon Realität.
Studien zur Prüfung der fiskalischen Effekte von Neubaugebieten, unabhängig von der eben beschrieben "strukturellen Kostenfalle" aufgrund des immer größeren Infrastrukturbedarfs für immer weniger Menschen wird der fiskalische Nettoeffekt konkreter Neubauprojekte durch die Gemeinden sehr häufig überschätzt. Auf der Einnahmenseite schlägt zunächst die Grundsteuer zu Buche. Wichtigste zusätzliche Einnahmequelle der Gemeinden bei neuen Wohngebieten ist der kommunale Anteil an der Einkommensteuer. Für deren Veränderung ist jedoch nicht die real von den Bewohnern des neuen Wohngebiets bezahlte Einkommensteuer relevant, sondern vielmehr der Wert, um den diese zusätzlichen Steuerzahler die sogenannte Schlüsselzahl der Gemeinde verändern. Die Schlüsselzahl einer Gemeinde legt deren Anteil bei der landesweiten Verteilung des kommunalen Anteils an der Einkommensteuer fest. Da sie durch das jeweilige Innenministerium aber nur alle drei Jahre neu festgesetzt wird und zudem die Festlegung aufgrund des komplizierten Steuersystems stets auf relativ weit zurückliegende Daten zurückgreift, wirkt sich der Zuzug eines Steuerzahlers erst nach sechs bis acht Jahren auf die Schlüsselzahl (und damit die Einnahmen der Gemeinde) aus.
Den zusätzlichen Einnahmen der Kommunen aufgrund eines Neubaugebietes stehen aber auch zusätzliche Ausgaben gegenüber. So verbleiben bei der Baulandbereitstellung bestimmte Anteile der Kosten bei der Gemeinde. Dies sind zum einen die Gemeindeanteile der beitragsfähigen Erschließungskosten und zum anderen die nicht beitragsfähigen Kosten, z.B. für die äußere Verkehrserschließung. Eine Auswertung kommunaler Kostenangaben ergab, dass kleine Neubaugebietsprojekte sowie Gebiete in örtlicher Randlage pro Wohneinheit höhere (nicht beitragsfähige) äußere Erschließungskosten aufweisen als größere und integriert gelegene Neubaugebiete. Zudem steigt der Aufwand der Erschließung insgesamt im Dichtebereich von Einfamilienhausgebieten. Entsprechend höhere Kosten entstehen in den "ortstypischen" Neubaugebieten der Umlandgemeinden. Die größte Ausgabenposition sind die zusätzlichen laufenden Ausgaben im Verwaltungshaushalt für die Aufgaben, welche die Gemeinde in eigener Leistungserstellung erbringt (die kommunalen Aufgaben, für die eine zusätzliche Nachfrage durch das Neubaugebiet erwartet werden kann , z.B. Personal- und Betriebskosten für Kindergarten, Schule oder Straßenbeleuchtung und -reinigung)
Die Ausgabenposition "Eigene Einrichtungen" steht für die investiven Ausgaben der Kommunen beim Neu- oder Ausbau sozialer Infrastruktureinrichtung in eigener (oder durch sie bezuschusster) Trägerschaft. Der Bedarf zum Ausbau dieser Einrichtungen (z.B. Kindergärten, Schulen und Turnhallen) ist insbesondere dann gegeben, wenn eine Gemeinde einen starken Zuzug erfährt. Vor allem generative Nachfragespitzen, die durch ein - im Verhältnis zur Restgemeinde - großes Neubaugebiet entstehen ("plötzlich viele Kinder") zwingen die Gemeinde aufgrund der Betreuungs- und Bildungsansprüche der Familien zu entsprechenden Kapazitätsausweitungen, die nicht selten später unterausgelastet weitere Folgekosten verursachen.
Eigenentwicklungsstrategien, d.h. ein behutsamer Neubau mit dem Ziel der Verhinderung von Abwanderung und dem Erhalt einer möglichst homogenen generativen Entwicklung in der Gemeinde, können die dargestellten Kostenwerte vermeiden. Letzte zusätzliche Ausgabenposition sind die Umlagen. Die zusätzlich zu zahlenden Umlagen sind in aller Regel von den zusätzlichen Einnahmen abhängig,
Die Bilanz der Effekte
Bilanziert man die zusätzlichen Einnahmen und Ausgaben, muss die Gemeinde alle aufgezeigten zusätzlichen Ausgaben tragen. Im kreisangehörigen Umland liegen die realen fiskalischen Wirkungen eines Neubaugebietes deutlich unter den häufig von kommunalen Entscheidern geäußerten fiskalischen Wirkungserwartungen. Die Ausweisung neuer Wohngebiete führt in den kreisangehörigen (Umland-)Gemeinden in vielen Fällen nicht zu einem positiven fiskalischen Gesamtsaldo, da sich die Einnahmen aus der Einkommensteuer, der wichtigsten zusätzlichen Einnahmequelle, aufgrund der verzögerten Anpassung der mit ihrer Verteilung auf die Gemeinden verknüpften Schlüsselzahlen erst nach etwa sieben Jahren einstellen. Im Geflecht verschiedener Einzelinteressen (Projektentwickler ein gutes Geschäft machen, spätere Wohnungskäufer und -mieter bestimmte Wohnvorstellungen realisieren) gerät die langfristige Kostenentwicklung aus dem Blick.